Interview mit Krimi-Autorin Bernadette Calonego
Bernadette Calonego hat mittlerweile zehn Bücher mit verschiedenen Schauplätzen in Kanada veröffentlicht. Viele davon gibt es auch in deutscher Übersetzung. Die Autorin ist in der Schweiz geboren und aufgewachsen, lebt heute in Kanada und arbeitet dort als Schriftstellerin und freie Auslandskorrespondentin für deutschsprachige Medien in Europa.
Sie wohnt an der Sunshine Coast in Vancouver und in Neufundland. Ihr Krimi “Die Bucht des Schweigens” und das Buch “Oh, wie schön ist Kanada!” waren Bestseller in Deutschland.
CANADA BACKROADS sprach mit ihr über ihren Alltag als Schriftstellerin und Journalistin an der Sunshine Coast, die Schauplätze ihrer Kriminalromane und ihre persönlichen Lieblingsplätze in Kanada.
(Fotos: Bernadette Calonego)
Wie sieht Dein Tagesablauf als Buchautorin und Journalistin aus?
Ich bin ein Morgenmensch, ich stehe relativ früh auf, dann lese und beantworte ich als erstes die E-Mails, die hereingekommen sind, während ich einen Kaffee trinke. Anschließend überfliege ich die kanadischen und amerikanischen Zeitungen im Internet nach Neuigkeiten, die für eine Auslandskorrespondentin wie mich wichtig sein könnten. Ich muss sehr auf die Zeitverschiebung achten. In British Columbia, wo ich den Großteil des Jahres verbringe, sind es neun Stunden im Vergleich zu Europa, was alles ein bisschen schwieriger macht.
In Neufundland dagegen, wo ich im Sommer lebe, beträgt die Zeitdifferenz nur viereinhalb Stunden, und das ist viel praktischer. Journalistisch bin ich nicht mehr so eingespannt wie früher, da viele Zeitungen aus Kostengründen keine freien Mitarbeiter mehr beschäftigen. Deshalb kann ich mich auf meine Bücher konzentrieren. Derzeit schreibe ich parallel an einem Reiseführer und an einem Krimi. Den Nachmittag widme ich Bürokram, Telefonaten und Routinearbeiten, oder ich recherchiere ein Thema. Fast täglich führe ich den Hund der Nachbarn spazieren. Wandern in der Natur ist meine Leidenschaft. Der Abend ist dem Lesen von Büchern und Netflix gewidmet. Zwischendurch kümmere ich mich auch um Instagram und Facebook, als Autorin muss ich dort präsent sein.
Haben sich die Plots Deiner Kriminalromane verändert? Gibt es thematische Trends im Genre?
Meine Romane spielen in der Gegenwart, also im Jahr, in dem ich das Buch schreibe. Um Handys, Emails und Internet komme ich nicht herum. In meinen Krimis geht es vor allem darum herauszufinden, wer der Täter ist, sein Motiv und die Tatumstände. Die Leserinnen und Leser können miträtseln. Oft ist die Hauptfigur keine professionelle Ermittlerin, sondern eine Fotografin oder Historikerin oder – in meinem neusten Krimi „Mörderischer Morgen“ – eine Anwältin.
Die Geschichten sind nicht blutrünstig, und die Verbrechen werden nicht des Gruseleffekts wegen im Detail beschrieben. Was sich in meinen Büchern im Lauf der Jahre ändert, sind die Orte: Mein erstes Buch findet in Zürich statt, das zweite in British Columbia und Yellowknife, das dritte in einem kleinen Dorf in Neufundland, das vierte in der Arktis, das fünfte auf einer Ranch in British Columbia und teilweise in Europa. „Mörderischer Morgen“ spielt in einem isolierten Minendorf im Norden von British Columbia. Für den nächsten Kanada-Krimi habe ich Labrador ausgewählt.
Gibt es auch sozialkritische Krimis vor dem Hintergrund der kanadischen Geschichte?
In meinem neusten Krimi „Mörderischer Morgen“, der am 7. November 2019 erscheint, kommen Mitglieder eines indigenen Stammes vor. Dem Stamm gehört eine Lodge, in deren Umgebung Touristen Grizzlybären und andere Tiere beobachten können. Ich will zeigen, dass es indigene Unternehmer gibt, die wirtschaftlich erfolgreich sein wollen. Das heißt nicht, dass ich Probleme ignoriere, mit denen Gemeinschaften der First Nations zu kämpfen haben. Aber ich überlade die Geschichte nicht damit. In meinem Buch „Die Fremde auf dem Eis“ kommen selbstbewusste, souveräne Inuit vor, ich verschweige indes die Schattenseiten der schwierigen Existenz in der Arktis nicht. In meinen Büchern nehme ich immer wieder aktuelle Themen auf, zum Beispiel Kanadas Diamantenproduktion oder die harte Arbeit der kleinen Fischer in Neufundland oder die militärische Präsenz in der Arktis. Die Schauplätze sind fast immer authentisch beschrieben, man kann in den Fußstapfen meiner Figuren reisen. Ich glaube, in meinen Büchern kann man auf unterhaltsame Weise viel über Kanada erfahren. Wichtig ist, dass es spannend bleibt und nicht zu belehrend. Das Lesen soll schließlich Spaß machen!
Hast Du mehr Leser und Fanpost aus dem deutschsprachigen Raum oder aus Kanada/Nordamerika?
Bestimmt mehr aus Deutschland, der Schweiz und Österreich als Fanpost aus Kanada. Wenn ich Lesungen in Kanada gebe, stoßen meine Bücher auf großes Interesse. Aber viele Kanadier kennen meine Bücher noch nicht. Meine Krimis, die auf Englisch erschienen sind, werden vor allem in den USA gelesen und verkauft. Das hat wohl damit zu tun, dass mein amerikanischer Verlag meine Bücher fast ausschließlich in den USA bewirbt, vielleicht weil der Markt dort soviel größer ist. Ich hoffe sehr, dass ich meinen Bekanntheitsgrad in Kanada verbessern kann, denn schließlich ist Kanada der Schauplatz meiner Krimis.
Machst Du als Schriftstellerin Urlaub?
Urlaub mache ich eigentlich nur in meiner ersten Heimat Schweiz. Sonst reise ich in Kanada umher, denn es gibt noch so viele Gegenden, die ich erforschen will. Das sind eigentlich mehr Recherchereisen, aber ich bin sowieso nicht der Typ, der am Strand liegt oder in ein Wellness-Hotel geht.
Wo liegt der Reiz für Dich an der Sunshine Coast und im Städtchen Gibsons zu leben?
Ich hänge an der Sunshine Coast, weil ich gern in einer ländlichen Gegend lebe, wo ich in den Bergen wandern kann, wo ich der Natur nahe bin, wo Bären und Pumas durch die Gärten ziehen und wo ich viele Freunde habe. Vancouver ist von Gibsons aus leicht zu erreichen, so kann ich die Großstadt genießen, muss mir aber nicht die hohen Lebenskosten in Vancouver leisten können. Es stimmt, dass immer mehr Rentner und reiche Leute Häuser an der Sunshine Coast aufkaufen. Aber es ist noch bei weitem nicht so schlimm wie in Vancouver. Die Sunshine Coast ist immer noch ein Lebensraum für Künstler und Lebenskünstler, für Kreative und Umweltbewusste, für Exzentriker und Aussteiger. Das gefällt mir.
Welches Buch von Dir würdest Du unseren Lesern - eigentlich mir 😉 - empfehlen, in dem ich viel über Kanada erfahre?
Ich glaube, der Arktis-Krimi „Die Fremde auf dem Eis“ könnte dir gefallen. Vielleicht möchtest du einmal von Whitehorse nach Dawson City fahren und von dort auf dem Dempster Highway nach Inuvik. Dann ist mein Buch ein guter Ansporn dafür, weil diese Orte alle darin vorkommen. Mein Krimi ist auch ein Denkmal für die Ice Road, das war im Winter eine Fahrpiste über das vereiste Delta des Mackenzie-Stroms. Auf dieser Eisstraße, die es leider nicht mehr gibt, bin ich von Inuvik nach Tuktoyaktuk und zum Arktischen Ozean gefahren. Heute gibt es nur noch die neue Überlandstraße.
Was es für Dich schwierig für Dich von der Schweiz nach Kanada auszuwandern?
Ich bin vor rund zwanzig Jahren ausgewandert und hatte eigentlich keine Probleme. Es ging damals auch relativ schnell. Allerdings sprach ich bereits gut englisch und französisch und hatte zuvor Kanada schon mehrfach bereist und darüber in Zeitungen Berichte veröffentlicht. Ich leistete mir einen kanadischen Immigrationsanwalt, was mir viel Zeit und Energie erspart hat. Das würde ich an meiner Stelle wieder tun.
Was ist Kanada für Dich?
Abenteuer, Wildnis, Natur, Begegnungen mit wilden Tieren, Pioniergeist, Toleranz, freundliche Menschen, viele Kulturen, Weite – und den Rest kann man in meinem Buch „Oh, wie schön ist Kanada!“ (Ullstein Verlag) nachlesen.
Welche Region Kanadas hast Du schon bereist?
Gibst du mir zehn Seiten dafür? Ich erzähle dir lieber, wo ich noch hin möchte: zum Beispiel nach Baffin Island und Banks Island in der Arktis, den Fluss Stikine möchte ich sehen, noch mehr von Nunavik im Norden Quebecs entdecken, das ländliche Ontario in aller Ruhe durchstreifen und endlich Winnipeg einen Besuch abstatten.
Welches war Dein schönster, schrecklichster, aufregendster, einsamster oder lustigster Moment in Kanada?
Superlative sind mir ein bisschen suspekt, trotzdem hier einige Momentaufnahmen: Ein schöner Moment: Als ich kurz nach meiner Einwanderung auf den Twin Islands in Deep Cove nahe Vancouver stand und so richtig realisierte, dass ich jetzt wirklich für immer in Kanada bleiben darf.
Ein schrecklicher Moment: Als im Jahr 2001 die Erde in Vancouver bebte und alles in meiner Wohnung im vierten Stockwerk zitterte und Möbel und Apparate ins Rutschen kamen.
Ein aufregender Moment: Als ich während einer Arktis-Reise mit dem Eisbrecher der kanadischen Küstenwache in der legendären Nordwestpassage in Fort Ross den Fuß auf historischen Boden setzte und dort alte Gräber sah.
Ein einsamer Moment: Ich wanderte dem North Beach auf Haida Gwaii entlang, als dichter Nebel aufkam. Ich verlor völlig die Orientierung und hätte viel dafür gegeben, jeman-den bei mir zu haben. Erst als sich der Nebel nach einer gefühlten Ewigkeit lichtete, wurde mir wieder wohler.
Ein lustiger Moment: Auf einer Insel in der Nähe von Prince Rupert in British Columbia stieg ich aus einem Wasserflugzeug und ließ aus Versehen mein Handy in den Ozean plumpsen. Ein älterer Mann der Tsimshian First Nations beugte sich über das Wasser, hielt sein Ohr mit der Hand und sagte: „Ich kann es da unten reden hören.“ Obwohl mich der Verlust meines Handys schockierte (es war glücklicherweise kein iPhone), musste ich laut herauslachen.
Das sollte man in Kanada gesehen und erlebt haben...?
Als ich vor einigen Jahren für meine Brüder, die noch nie in Kanada waren, eine Reise zusammenstellte, sah die Route so aus (für den ganzen Monat September):
Vancouver – Osoyoos – Kelowna – Revelstoke – Golden – Lake Louise – Banff – Jasper – Bighorn Country (Nordegg) – Calgary – Drumheller – Badlands – Writing-On–Stone Na-tional Park – Fort Macleod – Head-Smashed-In Buffalo Jump – Pincher Creek – Waterton National Park – Crowsnest Pass/Frank Slide – Fernie – Vernon – Vancouver – Tofi-no/Ucluelet (Vancouver Island).
Das ist zwar eine typische Touristenreise, gibt für einen ersten Besuch halt doch einen guten Überblick. Bei einem zweiten Besuch würde die Route anders aussehen.
Hier noch einige Destinationen, die weniger bekannt, aber eindrücklich sind: Zum Kratersee im Pingualuit Nationalpark im Norden Quebecs hochsteigen, und wer will, kann ihn auch in sieben Stunden umwandern. Der See wurde durch einen Meteor ge-schaffen, er ist kreisrund, hat wahrscheinlich das sauberste Wasser auf dem Globus und man kann ihn sogar vom Weltall aus sehen. Der Nationalpark wird von Inuit verwaltet. Ein Besuch des Grizzlybär- Schutzgebiets im Khutzeymateen-Tal bei Prince Rupert in Bri-tish Columbia. Der Abraham Lake im Bighorn Country in der Provinz Alberta, wenn er vereist ist im Winter und das Eis wegen der eingeschlossenen Luftblasen fantastische Farben und bizarre Formen annimmt.
Auf der Insel Quirpon im Norden Neufundlands den Buckelwalen vom Ufer aus beim Ja-gen und Fressen zusehen. In Inuvik (Northwest Territories) beim Muskrat-Jamboree, dem Frühlingsfestival der Inuit, dabei sein und die Hunde- und Skidoorennen, Geschicklichkeits- und Tanzwettbewerbe und andere Ereignisse mitverfolgen. In den großartigen Selkirk-Bergen bei Revelstoke in British Columbia wandern. Im Greenwich National Park auf Prince Edward Island auf Holzstegen zu einem wunder-schönen roten Sandstrand gelangen.
Kannst du uns einen kulinarischen Tipp für die Sunshine Coast geben?"
Das Tolle an Kanada ist ja, dass man die Küche von so vielen Ländern ausprobieren und genießen kann. In Gibsons gibt es ein ausgezeichnetes Sushi-Restaurant, die Sushi Bar Nagomi. Wer es lieber deftiger mag, holt Fish and Chips bei Sharkey´s in Roberts Creek.
Möchtest Du für immer in Kanada und BC bleiben, oder könntest Du Dir vorstellen, noch einmal in einer anderen Region zu leben?
Ich verbringe seit zehn Jahren den Sommer in Neufundland an der Ostküste und den Rest des Jahres an der Westküste. Was gibt es in einem riesigen Land wie Kanada Besseres, als ein Standbein am Pazifik zu haben und ein Standbein am Nordatlantik und das Land da-zwischen zu bereisen? Kanada (und einem Kanadier) gehört meine große Liebe, und ich glaube nicht, dass diese Liebe eines Tages erlischt. Zwischendurch fliege ich nach Europa, freue mich an der kulturellen Vielfalt auf kleinem Raum, und kehre mit vollem Herzen wieder nach Kanada zurück. Für mich stimmt das so.